Jutta Bunse und Elisabeth Kahler (von links) stehen im St.-Vincenz-Krankenhaus für Gespräche zur Verfügung. (Foto: Markus Jonas)
Ob existenzielle Krisen oder kleinere Sorgen: Bei seelischen Nöten können die Patientinnen und Patienten sowie die Mitarbeitenden des St.-Vincenz-Krankenhauses in Paderborn sich Hilfe holen bei den Mitgliedern des Seelsorgeteams oder bei Ehrenamtlichen des Besuchsdienstes. Ein Gespräch mit Elisabeth Kahler (Seelsorgeteam) und Jutta Bunse (Besuchsdienst).
Frau Kahler, ich könnte mir vorstellen, dass man im Krankenhaus oft mit Sorgen und Problemen konfrontiert ist …
Elisabeth Kahler: Das ist ganz unterschiedlich. Menschen, die zu uns kommen, bringen ja ganz unterschiedliche Erfahrungen mit, und es ist immer schwer, wenn sie mit schwierigen Diagnosen konfrontiert werden. Das kann zum Beispiel auf unserer Krebsstation sein, wo sie Chemotherapien erhalten oder Operationen anstehen. Auch neurologische Erkrankungen können für die Patientinnen und Patienten sehr belastend sein, und oft sind auch junge Menschen betroffen. Wir sind auch auf der Stroke Unit, also der Schlaganfallstation, wo sich von jetzt auf gleich vieles im Leben ändert - und das kann auch jüngere Menschen treffen. Man denkt oft, Schlaganfälle träfen in erster Linie ältere Personen, aber es sind zunehmend auch Jüngere betroffen. Gemeinsam betreuen wir natürlich auch die Notfallaufnahme. Wenn dort Patientinnen und Patienten eingeliefert werden oder versterben, sorgen wir dafür, dass - sofern gewünscht - noch eine Krankensalbung erfolgt. Wir organisieren dann einen Priester. Wir versuchen außerdem, die Angehörigen aufzufangen und sie in dieser schwierigen Zeit zu begleiten. Wir sind auch für die Mitarbeitenden da, gerade in den Funktionsabteilungen, denn auch sie erleben viel Leid. Dann schauen wir, wie wir sie unterstützen können.
Aktuell hat der Papst ein Heiliges Jahr unter dem Motto "Pilger der Hoffnung" ausgerufen. Gerade Hoffnung wird ja dringend in solchen Situationen benötigt, oder?
Elisabeth Kahler: Ja, auf jeden Fall. Aber das ist eine Hoffnung, die nicht vertrösten soll. Wir versuchen vielmehr, in den Gesprächen mit den Kranken herauszufinden, aus welcher Hoffnung sie leben oder was ihnen Hoffnung gibt - zum Beispiel bei Patientinnen und Patienten mit einer Krebserkrankung, die wisen, dass sie Chemotherapie bekommen und länger damit beschäftigt sein werden. Da schauen wir gemeinsam, was diesen Menschen Hoffnung und dadurch auch Stärke gibt. Ich komme aus der Hospizarbeit und habe dort erlebt, dass es oft kleine Dinge sind: Vielleicht, dass man noch den Besuch des Enkelkindes erlebt, dessen Taufe oder Erstkommunionsfeier. Wir denken oft, es müssten immer große Ereignisse sein. Aber bei Menschen, die schwer erkrankt sind oder dem Lebensende entgegensehen, sind es manchmal gerade die kleinen Dinge, wie ein schönes Gespräch.
Jutta Bunse: Kleine Dinge erlebe ich häufig auch auf dem Flur und im Bereich des Eingangs, wo ich häufig unterwegs bin. Manchmal brauche ich deshalb sehr lange, um von A nach B zu kommen, weil ich ständig auf jemanden stoße, der etwas sucht, zum Beispiel den Aufzug, oder nicht weiß, wo er oder sie hin muss. Vor der Aufnahme warten meist viele Menschen. Einige schauen fragend, manche traurig. Wenn ich sie anspreche und versuche, sie abzuholen, wo sie innerlich sind, entsteht ein Miteinander: "Da ist jemand, der sieht mich, mit dem kann ich reden." Wir sprechen dann manchmal gar nicht so tiefgehend, aber dieses "Ich werde gesehen. Ich kann fragen, und es wird mir geholfen" - das führt oft dann doch zu wirklich tiefen Gesprächen.
An einem „Hoffnungsbaum“ in der Kapelle des Vincenz-Krankenhauses lesen Jutta Bunse und Elisabeth Kahler auf angehefteten Blättern, was Menschen Hoffnung gibt.(Foto: Markus Jonas)
Frau Kahler, Sie sagten vorhin, dass Sie zunächst versuchen herauszufinden, was den Menschen Hoffnung gibt. Kann man das so beschreiben, dass Sie versuchen, diesem "Hoffnungsfunken" neue Nahrung zu geben?
Elisabeth Kahler: Auf jeden Fall. Das sehe ich als eine meiner größten Aufgaben. Wenn Menschen mir von ihrem Leben und ihren Erfahrungen erzählen, frage ich auch manchmal ganz gezielt: "Was hat Ihnen in früheren schwierigen Situationen Hoffnung gegeben?" So können sie auf ihre eigenen Ressourcen zurückgreifen. Das, was sie schon erlebt und gemeistert haben, kann sie jetzt stärken. Es muss nicht immer eins zu eins auf die aktuelle Situation übertragbar sein, aber es ermutigt, dem nachzugehen und sich nach Neuem umzuschauen.
Was ist, wenn jemand völlig hoffnungslos ist und ihm gar nichts mehr einfällt, was Hoffnung geben könnte?
Elisabeth Kahler: Das muss man dann mit aushalten. Ich versuche da nicht, irgendetwas überzustülpen. Ich lasse es erst einmal so stehen und versuche dennoch, den Patienten weiter zu besuchen und nachzufragen, ob sich vielleicht doch etwas bewegt hat. Oft denken die Menschen noch viel über das Gesagte nach. Aber es kommt vor, wenn auch sehr selten, dass jemand sagt: "Da ist nichts." Dieses Nichts muss man dann auch aushalten.
Jutta Bunse: Aber das Wissen, dass da jemand ist, der mich in meiner Hoffnungslosigkeit aushält, kann vielleicht selbst schon ein Stück Hoffnung sein. Ich glaube, das Wichtigste ist, trotzdem präsent zu bleiben.
Elisabeth Kahler: Ja, genau. Dass die Betroffenen spüren: "Da ist jemand, der ist für mich da, hält meine Hand oder sitzt einfach nur neben mir, ohne etwas zu sagen, aber ich bin nicht allein. Und der kommt vielleicht noch einmal wieder und hält das mit mir aus."
Jutta Bunse: Da fällt mir ein Beispiel ein: Eine ehemalige Mitarbeiterin hat uns auf eine Frau auf der Intensivstation aufmerksam gemacht. Der Ehemann konnte es nicht ertragen, seine Frau dort zu sehen. Also sind wir hingegangen und haben uns abgewechselt, damit sie nicht allein war. Obwohl sie im Koma lag, merkte sie meiner Ansicht nach doch, dass sie nicht allein war, dass jemand an ihrer Seite war.
Haben Sie auch schon Patienten erlebt, bei denen es zunächst ganz schlimm aussah, ganz hoffnungslos, die dann doch wieder Hoffnung schöpfen konnten?
Elisabeth Kahler: Ja. Ich bin einmal abends auf die Intensivstation zu einer Patientin gerufen worden. Bei ihr war Krebs festgestellt worden, sie war operiert worden, und an diesem Abend weinte sie nur, weil es ihr 50. Geburtstag war. Sie war niedergeschmettert, hatte gar keinen Lebensmut mehr und war nur traurig. Über mehrere Besuche hinweg hat sich das dann langsam geändert. Es entwickelte sich eine sehr enge seelsorgerische Beziehung.
Irgendwann sagte sie: "Das Gespräch mit Ihnen hat mir so geholfen." Ich wusste nicht mehr, was genau ich gesagt hatte. Vorher waren selbst ihre Enkelkinder kein Trost für sie gewesen, aber das änderte sich dann. Ein Enkelkind hat ihr ein Bild gemalt mit der Bitte: "Oma, komm bald wieder!" Wir haben das Bild in ihrem Patientenzimmer aufgehängt. Sie wurde dann entlassen, musste aber über längere Zeit immer wieder ins Krankenhaus kommen. Dann habe ich sie, wenn möglich, besucht. Heute geht es ihr richtig gut. Trotz ihrer Krebserkrankung kann sie damit leben und sie annehmen. Es war ein langer Weg mit viel Hoffnungslosigkeit am Anfang. Sie rief mich später sogar an, als sie in einem anderen Krankenhaus eine neue Hüfte bekommen sollte. Da war sie erst wieder niedergeschlagen gewesen, aber am Ende ging es ihr doch gut, und sie wollte mir das unbedingt mitteilen. Das tat auch mir sehr gut.
Frau Bunse, gibt es im Besuchsdienst ähnliche Erlebnisse?
Jutta Bunse: Ja, ich habe sehr lange eine Frau begleitet, die einen offenen Bauch hatte und dafür eine sogenannte Vakuumpumpe trug. Das bedeutet, dass der Bauch von innen nach außen abheilen soll und immer wieder operativ behandelt werden muss. So etwas ist sehr langwierig, mit vielen Narkosen und großer körperlicher und psychischer Belastung verbunden. Ihre Tochter heiratete aber und sie wollte eigentlich dabei sein, es ging aber nicht. Sie war dann aber so dankbar, dass sie mit jemandem sprechen konnte, der nicht zur Familie gehörte. Man kann dann alles erzählen, was man mit der Familie vielleicht nicht teilen möchte, um sie nicht zu belasten.
Wie gehen Sie selbst damit um, dass Sie mit viel Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung zu tun haben?
Elisabeth Kahler: Manchmal ist es belastend. In unserer Ausbildung haben wir allerdings gelernt, wie wir damit umgehen können. Wir kennen unsere Ressourcen und wissen, was uns guttut. Man sagt zwar: "Man soll alles im Krankenhaus lassen", aber das funktioniert nicht immer. Manche Schicksale beschäftigen einen doch. Dann hilft es sehr, wenn man miteinander spricht.
In einer Box auf der Pilgerbank kann man seine Sorgen und Lasten loswerden.(Foto: Markus Jonas)
Jutta Bunse: Genau, dieser Austausch ist sehr wichtig, dass man gegenseitig bei einander auch einmal "abladen" kann. Für uns ist es zudem hilfreich, selbst in die Kapelle zu gehen. Ich sitze gerne dort, zünde eine Kerze an und lege alles Gott ans Herz. Wir nehmen natürlich vieles wahr, aber wir können es nicht alles selbst tragen oder drehen und wenden. Wir sind da wie ein Bindeglied. Wir können mit unserem Glauben und Vertrauen darauf hoffen, dass Gott hilft. Wir sind mit dem Herzen mit unserem Schöpfer verbunden und oft, wenn wir etwas glauben, geschieht das auch. Das erlebe ich immer wieder. Ohne diesen eigenen Glauben könnten wir diesen Dienst nicht machen. Ich sage dann: Du hast mich jetzt hier hingesetzt, du hast mich hier gewollt und dann gibst du mir auch die Kraft und das Vermögen, dadurch zu kommen.
Elisabeth Kahler: Für mich ist es auch ein kleiner Ritus geworden: Wenn ich Feierabend habe oder bevor ich das Haus verlasse, gehe ich noch einmal in die Kapelle und zünde eine Kerze an für alle Menschen, denen ich an diesem Tag begegnet bin - Kranke, Angehörige, Mitarbeitende - und vertraue sie Gott an. Meine Zeit ist begrenzt, und was ich nicht schaffe, übergebe ich dann sozusagen.
Ihnen hilft Ihr Glaube, wie sieht es bei den Patientinnen und Patienten aus? Ist der Glaube hilfreich für die Genesung? Was beobachten Sie?
Elisabeth Kahler: Ich erlebe, dass Menschen, die gläubig sind und ihr Leid nicht nur uns, sondern auch Gott anvertrauen können, oft einen anderen Umgang mit ihrer Krankheit finden. Sie hoffen darauf, dass es einen Sinn gibt oder dass sie daran wachsen - selbst wenn keine Heilung mehr möglich ist.
Jutta Bunse: Glaube und Vertrauen, aber auch eine positive Einstellung zur Medizin gehören ja oft zusammen. Man kann austherapiert sein, aber wenn in einem selbst diese Hoffnung und dieses Vertrauen bleiben, dann können manchmal noch Berge versetzt werden, dann können kleine Wunder geschehen oder zumindest besondere Fügungen. Allerdings natürlich nicht immer. Manchmal ist es traurig, weil wir nicht alle Wünsche erfüllen können, weil es unheilbare Krankheiten gibt. Aber viele können auch damit ganz anders umgehen, wenn sie dieses Vertrauen spüren, dass Gott sie begleitet.
Elisabeth Kahler: Mir ist es auch immer sehr eindrücklich, wie gläubige Menschen die Krankenkommunion empfangen. Mit welcher Ehrfurcht sie das hier im Krankenhaus tun! Das ist sehr berührend. Gleichzeitig gibt es aber auch Menschen, die sagen: "Ich habe mein ganzes Leben lang geglaubt, alles gemacht, und jetzt bin ich so krank. Da kann ich jetzt nicht mehr dran glauben." Dann ist es spannend zu schauen, wo diese Verzweiflung herkommt. Manche hatten vielleicht gehofft, als Christ bliebe man von solchem Leid verschont - was so nicht stimmt. Manchmal hilft es dann, von Jesus zu erzählen, der selbst Leid getragen hat. Nicht immer, aber hin und wieder merken wir, dass Menschen darin Trost finden.
Jutta Bunse: Mir hat einmal jemand gesagt: "Ich beneide Sie um Ihren Glauben." Er fühlte sich so, als käme er selbst nicht dahin. Ob es nun wegen seiner Krankheit war oder weil es in den Sterbeprozess ging - er erkannte zwar, es wäre leichter, wenn er diesen Glauben hätte, konnte ihn aber nicht nachvollziehen. Das hat mich sehr betroffen gemacht, das vergesse ich auch nie.
Wie ist das mit Menschen anderer Religionen oder mit Leuten, die gar nichts mit Glauben anfangen können? Kommen Sie als christliches Seelsorge- und Besuchsteam auch mit ihnen in Kontakt?
Elisabeth Kahler: Natürlich, wir haben ja eine Klinikseelsorge für alle. Mir kommt gerade ein Beispiel in den Sinn: Ich hatte ein sehr intensives Gespräch mit einer Patientin in der Neurologie, das bestimmt eine Stunde dauerte. Zum Schluss sagte sie: "Übrigens, ich bin aus der Kirche ausgetreten." Aber das tat dem Gespräch überhaupt keinen Abbruch. Auch mit Musliminnen und Muslimen habe ich schon wunderbar über Gott und die Welt gesprochen. Uns einen die Sehnsucht nach Frieden und Liebe. Einmal habe ich einer jungen muslimischen Patientin einen kleinen Engel geschenkt, weil Engel auch im Islam eine Rolle spielen, da war sie sehr dankbar. Das ist für mich auch sehr bereichernd, mich mit Menschen anderer Religionen zu unterhalten. Wir können auf das schauen, was uns eint, statt uns immer an dem zu reiben, was uns trennt.
Welche Rolle spielt die Zusammenarbeit mit Pflegekräften oder Ärztinnen und Ärzten?
Elisabeth Kahler: Eine große Rolle. Oft kommen Hinweise von Pflegepersonen oder Therapeutinnen und Therapeuten, die den Eindruck haben, dass jemand Gesprächsbedarf hat. Gerade in der Körperpflege oder in längeren Therapien merken sie, wenn etwas im Argen liegt. Ärzte geben uns auch mal Bescheid, aber häufiger sind es Pflegekräfte. Auf den Stationen, in denen wir regelmäßig sind, kennen sie uns und wissen, dass wir jederzeit ansprechbar sind. Außerdem bieten wir für das Personal kleine "Atempausen" an: Manchmal kommen sie dafür in die Kapelle, manchmal gehen wir auf die Station und machen einen kurzen Impuls von 5 bis 10 Minuten. Das hilft auch dem Personal, kurz zur Ruhe zu kommen und Kraft zu schöpfen.
Kommen die Pflegekräfte auch mit ihren eigenen Sorgen und Problemen zu Ihnen?
Elisabeth Kahler: Ja, natürlich. Das kann auf dem Flur in einem kurzen Gespräch sein oder ganz gezielt. Eine junge Pflegekraft sagte mir nach dem Tod eines Patienten einmal, sie habe vorher noch nie erlebt, dass jemand verstirbt - auch nicht in ihrer Ausbildung. Das war für sie ein Schock und erinnerte sie sehr an ihre Oma. In so einem Fall sprechen wir in Ruhe miteinander, um herauszufinden, wie sie diese Situation verarbeiten kann.
Auf der Pilgerbank kann man die Ruhe genießen und Impulse sammeln.(Foto: Markus Jonas)
Jutta Bunse: Ja, die Mitarbeitenden erleben vieles: sterbende Menschen, schwere Diagnosen. Das kann sehr belasten. Da ist es gut, wenn sie wissen, dass wir für sie da sind und dass sie mit uns auch einmal über ihre Ängste sprechen können.
Vielen Dank für das Gespräch!
(Interview: Markus Jonas)
Info
Im März lädt das Seelsorgeteam in der Kapelle des St.-Vincenz-Krankenhauses in Paderborn dazu ein, auf einer "Pilgerbank" Platz zu nehmen. Dort kann man neue Impulse erhalten oder Belastendes formulieren und in eine Box werfen. An einem Hoffnungsbaum kann, wer möchte, das festmachen, was Hoffnung gibt. Weitere Informationen zum Seelsorgeteam sowie den Angeboten und Impulsen im St.-Vincenz-Krankenhaus unter: https://ww3.vincenz.de/seelsorge