Diskutierten beim Caritas-Diskurs Ethik das „heikle Thema“ Suizidassistenz (v. l.): Michael Mendelin (Caritas), Prof. Dr. Martin Rehborn, Diözesan-Caritasdirektor Ralf Nolte, Prof. Dr. Barbara Schneider, Klaus Klother (Vorsitzender Diözesaner Ethikrat), Prof. Dr. Franz-Josef Bormann und Dr. Johannes Kudera, Geschäftsführer des Diözesanen Ethikrats.(Foto: cpd / Markus Jonas)
Mit dem Thema "Suizidassistenz" hat sich der 15. Paderborner Caritas-Diskurs Ethik auf Einladung des Diözesanen Ethikrates für das Erzbistum Paderborn auseinandergesetzt. Dies sei "ein herausforderndes und heikles Thema", stellte Diözesan-Caritasdirektor Ralf Nolte bei der Tagung in der Katholischen Akademie Schwerte fest. "Was dürfen, was sollen, was können wir?" Eine juristisch-ethische Orientierung für kirchliche Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen im Hinblick auf die aktuelle Rechtslage stand im Mittelpunkt der Referate und Diskussionen.
Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2020 und einer "Nicht-Entscheidung" des Deutschen Bundestages am 6. Juli dieses Jahres bestehe eine Gesetzeslücke, die es grundsätzlich jedem erlaube, Sterbewilligen beim Sterben zu helfen, kritisierte Nolte. Ungeregelt sei zudem, welche Schritte vor einer Suizidassistenz zu gehen seien, um festzustellen, dass es sich wirklich um eine freiverantwortliche Entscheidung handele. "Wir befinden uns in einem moralischen Dilemma", sagte Nolte. Schließlich seien Sterbewünsche in hohem Maße Veränderungen unterworfen und könnten oftmals mit einem gleichzeitigen Lebenswillen einhergehen.
Klaus Klother, Vorsitzender des Diözesanen Ethikrates, sagte, es fehle an Orientierung bei Geschäftsführungen und Mitarbeitern in Altenheimen und Krankenhäusern. Aber: "Der Alltag wartet nicht auf politische oder ethische Diskussionen." Gleichzeitig "müssen wir als Gesellschaft verhindern, dass assistierter Suizid zum Regelfall wird", so Klother.
Prof. Dr. Martin Rehborn(Foto: cpd / Markus Jonas)
Der Medizinrechtler Prof. Dr. Martin Rehborn, Honorarprofessor der Universität Köln, befasste sich mit der Frage "Was dürfen wir?". Denn mit dem Urteil von 2020 habe das Bundesverfassungsgericht sein Verfassungsverständnis völlig geändert. Habe 1975 noch die juristische Auffassung vorgeherrscht, dass niemand das Recht habe, über sein Leben zu verfügen, habe das oberste deutsche Gericht nun aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht im Gegenteil gefolgert, dass jeder das Recht dazu habe, so Rehborn. Aktuell sei daher die Beihilfe zum Suizid nicht strafbar, unabhängig von der Lebenssituation des Suizidenten. Voraussetzung sei "nur" dessen freiverantwortliche Entscheidung. Strafbar sei aber nach wie vor eine Tötung auf Verlangen - wobei aber durch ein Urteil des Bundesgerichtshofs 2022 die Grenze zwischen Tötung und Assistenz verschoben worden sei. Eine Tötung auf Verlangen soll demnach nicht vorliegen, wenn der Suizident "nach dem Tatbeitrag" des Gehilfen den Tod noch verhindern könnte, so Prof. Dr. Martin Rehborn. Aber: "Niemand kann zur Suizidassistenz gezwungen werden. Das gebietet die Gewissensfreiheit."
Prof. Dr. Franz-Josef Bormann (Foto: cpd / Markus Jonas)
Mit den moralischen Implikationen einer Suizidassistenz und der Frage "Was sollen wir?" befasste sich der Tübinger Moraltheologe Prof. Dr. Franz-Josef Bormann, Mitglied des diözesanen wie auch des Deutschen Ethikrates. Bormann betonte, man müsse strikt unterscheiden zwischen der "moralisch gebotenen Hilfe beim Sterben" und der "moralisch unzulässigen Hilfe zum Sterben". Entsprechend müsse die Suizidprävention gestärkt und ein legislatives Schutzkonzept installiert werden. In katholischen Pflegeeinrichtungen solle eine "Kultur des Sterbens" implementiert und Leitlinien für die Mitarbeiter entwickelt werden, schlug Bormann vor, ebenso für die psychischen Nöte von Sterbenden und für eine empathische Begleitung sensibilisiert werden. "Was wir nicht tun sollten: An Suizidhandlungen mitwirken", betonte Bormann. Das sei aus Sicht der Kirche niemals gerechtfertigt. Gleichwohl müsse man an der Seite von Suizidgefährdeten stehen und sie mitfühlend begleiten. Als Folge der "weltweit einzigartigen liberalen Rechtsprechung" des Bundesverfassungsgerichts befürchtet der Moraltheologe nun eine Zunahme von Suiziden. "Was erlaubt ist, steigt auch zahlenmäßig an." Zudem sei es wohl infolge der "abenteuerlichen Rechtsprechung" des Bundesgerichtshofs von 2022 nur noch eine Frage der Zeit, bis der Paragraph 216 Strafgesetzbuch, der eine Tötung auf Verlangen verbiete, abgeschafft werde.
Prof. Dr. Barbara Schneider(Foto: cpd / Markus Jonas)
Was können wir tun? Dieser Frage stellte sich Prof. Dr. Barbara Schneider, seit 2016 Leiterin des "Nationalen Suizidpräventionsprogramms" und Chefärztin der Abteilung Abhängigkeitserkrankungen, Psychiatrie und Psychotherapie der LVR-Klinik Köln. "Akute lebensgefährdende Phasen bestehen nur für kurze Zeit", sagte sie. Die Beständigkeit eines Suizidwunsches richtig einzuschätzen sei deshalb "sehr schwierig". Prof. Dr. Schneider räumte mit einigen "Mythen" auf, die etwa unter Juristen oder Politikern kursieren: So könne weder in zwei Gesprächen die Dauerhaftigkeit von Suizidvorstellungen geklärt, noch zwischen "Affektsuiziden" und "wohlüberlegten" Suiziden unterschieden werden. Auch könne die Liberalisierung nicht sogenannte "Brutalsuizide" verhindern. "Das ist komplett falsch." Vielmehr sei in Ländern mit liberaler Regelung ein deutlicher Anstieg von Suiziden zu beobachten. Problematisch an der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2020 sei, dass dieses lediglich "Freiverantwortlichkeit" voraussetze, bisher aber wissenschaftlich nicht geklärt sei, inwieweit sich Menschen im suizidalen Prozess überhaupt frei, unabhängig und wohlüberlegt entscheiden können. Barbara Schneider rief dazu auf, die Suizidprävention zu stärken. "Es muss vermittelt werden, dass Suizid meist nicht ein Akt des freien Willens mit Kontrolle über die eigene Lebenssituation ist", sagte Schneider.
Dr. Johannes Kudera(Foto: cpd / Markus Jonas)
Dr. Johannes Kudera, Geschäftsführer des Diözesanen Ethikrates, machte geltend, dass ein freiheitlicher Rechtsstaat auch die Möglichkeit biete, dass bestimmte, legalisierte Möglichkeiten - wie die Suizidassistenz - von einzelnen Einrichtungsträgern nicht ausgeführt werden. Eine plurale Gesellschaft müsse kirchlichen Einrichtungen die Möglichkeit bieten, den Weg der Suizidassistenz nicht mitzugehen.