"Wie gehen wir mit Menschen um, die sterben oder sterben möchten?" Kein leichtes Thema, das der 14. Paderborner caritas.diskurs Ethik in der Katholischen Akademie Schwerte behandelte. 80 Interessierte aus unterschiedlichen Caritas-Einrichtungen im Erzbistum Paderborn nahmen teil. "Das zeigt, wie wichtig das Thema ist", betonte der Vorsitzende des Diözesanen Ethikrates, Thomas Becker. Ein Auslöser für die Veranstaltung war ein Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020. Das Recht auf Selbstbestimmung beinhaltet demnach - verkürzt gesagt - auch die Hilfe zum Sterben durch Dritte. Dr. Johannes Kudera, Geschäftsführer des Diözesanen Ethikrates beim Caritasverband für das Erzbistum Paderborn, sagte mit Blick auf die daraus resultierende politische Diskussion: Man gehe im Parlament so vor, als ob Selbstbestimmung ein absoluter Wert wäre. "Für uns als christlicher Verband ist das nicht so."
Befassten sich mit dem assistierten Suizid (von links): Josef Lüttig, Vorstandsvorsitzender des Diözesan-Caritasverbandes, Prof. Dr. Franz-Josef Bormann, Dr. Petra Kutscheid, Dr. Johannes Alexander Kudera, Geschäftsführer des Diözesanen Ethikrates beim Diözesan-Caritasverband, Prof. Dr. Winfried Hardinghaus sowie der Vorsitzende des Ethikrates, Thomas Becker beim 14. caritas.diskurs Ethikcpd / Wolfgang Maas
Prof. Dr. Winfried Hardinghaus, Chefarzt der Klinik für Palliativmedizin im Franziskus-Krankenhaus Berlin und Leiter des Zentrums für Palliativmedizin der Nils-Stensen-Kliniken, erläuterte seine Thesen zu der Frage "Was brauchen wir für ein gutes Sterben?" Zunächst müsse man die Öffentlichkeit über die Palliativmedizin und Hospize informieren. Denn laut einer Umfrage des Deutschen Hospiz- und Palliativ-Verbands von 2017 wissen nur 18 Prozent der Deutschen, dass ein Hospiz kostenlos für Patienten ist. Hier bestehe ein Nachholbedarf an Informationen.
Neben der psychischen und physischen Behandlung müssten auch soziale und spirituelle Aspekte berücksichtigt werden. Das Ziel sei, dass Menschen "nicht durch unsere Hand, sondern an unserer Hand sterben", betonte Hardinghaus. Insgesamt müsse die Gesellschaft anerkennen, dass "leidvolles Leben nicht zwangsläufig menschenunwürdig" sei. Gerade katholische Einrichtungen wie Seniorenzentren sieht der Mediziner "als Schutzräume".
"Selbstbestimmung bis zuletzt - eine Utopie?" hatte die Medizinerin Dr. Petra Kutscheid ihren Vortrag überschrieben. "Selbstbestimmung wird mit assistiertem Suizid gleichgesetzt", so die Referentin. Viele wollten autonom über den eigenen Tod entscheiden. Dabei werde Autonomie oft als Autarkie, als völlige Unabhängigkeit von äußeren Einflüssen, missverstanden. Viele Menschen wollten leben, ohne auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein, sagte die Palliativärztin und Medizinethikerin. Doch Hilfe könne ebenso Freiheit bedeuten, wie das Beispiel des Physikers Stephen Hawking zeige. Er konnte arbeiten, weil Menschen und Technik ihn unterstützten.
Petra Kutscheid plädierte für eine Therapieziel-Änderung hin zur Palliativbehandlung. Dies sei dann nötig, wenn "Ärzte den Patienten nicht mehr nützen, sondern nur noch schaden". Zudem haben Patienten das Recht, selbst sinnvolle Maßnahme abzulehnen. "Aber sie müssen umfassend informiert sein, um abwägen zu können." Ohnehin sei Kommunikation sehr wichtig und wertvoll. Die Aussage "Ich will leben, aber nicht so" sei häufig "ein Hilferuf nach guter Behandlung", aber eben nicht nach dem Tod.
Prof. Dr. Franz-Josef Bormann, Mitglied des Deutschen und des Diözesanen Ethikrats, ging in seinem Abschluss-Referat auf das "Leitbild des natürlichen Todes" ein. Nachdem er die zentralen Argumente bezüglich der Suizidassistenz entfaltet hatte, wandte er sich der Frage zu, worin der natürliche Tod besteht. Brisant daran war, dass vor dem Hintergrund des natürlichen Todes auch der nicht natürliche Tod zu definieren ist. Tritt der natürliche Tod infolge innerer Ursachen (z. B. Krankheit) ein, die einen wenigstens minimalen Selbstvollzug zerstören, so kommt der nicht natürliche Tod durch äußere Ursachen (Unfall, Suizid), und zwar deutlich vor der Beendigung des personalen Selbstvollzugs. Das führte Bormann zu der Konsequenz, dass Suizidassistenz keinen integralen Bestandteil einer überzeugenden Sterbekultur darstellen kann.
An die gesetzliche Neuregelung formulierte Bormann zahlreiche Wünsche, unter anderem, dass Palliativmedizin, Suizidprävention und hospizliche Versorgung deutlich ausgebaut werden müssten. Wenn Suizidassistenz tatsächlich legal werde, bedürfe es eines umfassenden Schutzkonzepts für Suizidwillige, um sie vor Missbrauch und vorschnellen Entscheidungen zu schützen. Auch müssten kommerzielle Suizidassistenz verboten und Schutzklauseln für private Einrichtungen etabliert werden. Zudem brauche es in kirchlichen Einrichtungen geeignete Fortbildungsmaßnahmen, um einen ethisch reflektierten Umgang mit der Suizidassistenz zu gewährleisten.
Johannes Kudera, Geschäftsführer des Diözesanen Ethikrates, rief abschließend dazu auf, die Diskussion mit Mitarbeitenden in den Einrichtungen nicht zu scheuen. Auch ein Mitarbeitender, der die kirchliche Position zum assistierten Suizid persönlich nicht teilt, könne sie achten und wertschätzen. Der Ethikrat wolle vermitteln, dass diese kirchliche Position keineswegs unvernünftig oder widervernünftig sei, sondern begründet, nachvollziehbar und dem Menschen zutiefst angemessen. Kudera zog ein positives Fazit der Veranstaltung. Man nehme viele Anregungen aus dem Diskurs für die noch ausstehenden Empfehlungen mit, die der Diözesane Ethikrat zum assistierten Suizid veröffentlichen wolle.