In seinem Hirtenwort "Mut zur Hoffnung" ermutigt Paderborns Erzbischof Dr. Udo Markus Bentz die Gläubigen, das Heilige Jahr 2025 unter dem Leitwort "Pilger der Hoffnung" mitzutragen. Er betont die Bedeutung der Hoffnung als Kraftquelle, die auch in schwierigen Zeiten trägt.
Auf der Grundlage dieser Hoffnung sehen sich viele Mitarbeitende in der Caritas im Kontakt mit Menschen, die Hilfe benötigen. Unter dem Motto "Not sehen und handeln" stehen sie Menschen zur Seite, um sie auf einem hoffnungsvollen Weg in die Zukunft zu begleiten und zu unterstützen - wie etwa Dr. Eva Brockmann, Leiterin der Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche des Caritasverbandes Paderborn. Im Interview berichtet sie von ihrer Arbeit.
Sie haben in Ihrer täglichen Arbeit mit vielen Problemen und Fragen von Menschen zu tun. Welche Herausforderungen bringen die Menschen, bringen die Jugendlichen in ihre Beratungsstelle mit?
Jugendliche kommen mit alltäglichen und alterstypischen Fragen zu uns. Meistens haben sie aber bereits viele Lösungsansätze ausprobiert, sind gescheitert und erleben eine gewisse Frustration oder gar Ausweglosigkeit und Hoffnungslosigkeit. Manche sagen sich: Ich habe eigentlich schon alles versucht, eigentlich kann man mir auch gar nicht mehr helfen, aber ich nehme trotzdem noch mal einen neuen Anlauf. Einige sind sehr beratungserfahren und kennen die klassischen therapeutischen Methoden bereits. Dazu kommt, dass sie in einer Zeit großer Unsicherheiten leben - Kriege, Krisen und die Auswirkungen der Corona-Pandemie haben sie stark geprägt. Viele entwickeln Angststörungen, soziale Unsicherheit oder kompensieren ihre Ängste mit Aggressionen oder Aufmerksamkeitsstörungen.
Gleichzeitig stoßen diese Jugendlichen auf ein überlastetes Hilfesystem: Ein Therapieplatz ist oft erst nach einem Jahr Wartezeit verfügbar, für Jugendliche ein langer Zeitraum, in dem sie eigentlich wichtige Entwicklungsschritte machen müssten. Schulen und Kitas sind ebenfalls stark gefordert und überfordert. Das führt dazu, dass überforderte Jugendliche auf ein überfordertes System treffen - und das spüren wir in unserer Arbeit sehr stark.
Klingt nach viel Hoffnungslosigkeit ...
Wir versuchen, genau das zu vermeiden. Unsere Aufgabe ist es, den Blick zu weiten und neue Perspektiven aufzuzeigen - weg mit den Scheuklappen, weg mit dem Tunnelblick, nicht in das "Problem Dancing" einsteigen, wie wir das nennen. Sondern fragen: Was gibt es denn an Lösungsmöglichkeiten? Wir nennen das "Solution Dancing" - von der Problemfokussierung hin zur Lösungsorientierung. Gemeinsam mit den Jugendlichen erarbeiten wir Schritt für Schritt realistische Lösungen, überlegen, welche Ressourcen sie nutzen können und wie sie Unterstützung aktivieren können.
Und das vermittelt neue Hoffnung?
Ja, denn allein die Erkenntnis, dass es Lösungswege gibt, die bislang übersehen wurden, kann ein erster Schritt sein. Viele Familien sind so sehr auf ihre Probleme fokussiert, dass sie die positiven Aspekte aus dem Blick verlieren. Deshalb raten wir den Eltern, auf das zu schauen, was gut läuft, was sie Schönes gestalten können, zu fragen: Welche Stärken hat das Kind? Welche Stärken können wir nutzen, um in eine Lösung zu kommen. Welche positiven Entwicklungen gibt es bereits? Wer könnte noch bei einer Lösung helfen, gibt es vielleicht Nachbarn, Freunde oder Verwandte? Wir vermitteln: Es wird sich schon fügen, es wird schon eine Lösung geben. Diese Umorientierung hilft oft enorm.
Mir fällt dann oft ein Spruch ein: Den Gehenden schiebt sich der Weg unter die Füße. Wir raten dann: Machen Sie den ersten Schritt. Gehen Sie schon mal los. Es wird nicht sofort die große Lösung geben, die alles klärt. Wenn man den ersten Schritt macht und auf dem Weg ist, wird sich der Weg nach und nach unter die Füße schieben.
Das klingt ja sehr nach einem "Pilger der Hoffnung", wie das Motto des aktuellen Heiligen Jahres heißt, das Papst Franziskus ausgerufen hat.
Durchaus. Ob ich das Wort "Pilger" in diesem Zusammenhang sonst gebrauchen würde, weiß ich nicht. Aber unsere Klienten befinden sich auf jeden Fall auf einer Reise, auf einem Weg in eine hoffnungsvolle Zukunft, auch wenn sie dort vielen Hürden begegnen und immer wieder auch Umwege machen. Wir begleiten sie auf diesem Weg und helfen ihnen, Schritt für Schritt voranzukommen. Dabei müssen sie nicht alles auf einmal lösen, sondern dürfen sich Zeit nehmen.
Ist das häufig der Fall, dass Klienten Hoffnung und Erleichterung durch die Beratung erfahren?
Ich wünschte, wir könnten das statistisch erfassen. Aber es ist schon so, dass viele erleichtert aus den Gesprächen herausgehen, weil sie neue Perspektiven gewinnen. Doch es gibt auch Fälle, in denen das Gespräch zunächst belastend wirkt, weil unangenehme Themen angesprochen werden, die sonst gern weggeschoben werden. Manche fühlen sich herausgefordert oder haben das Gefühl, alte Wunden wurden aufgerissen. Es kommt vor, dass erst Wochen oder Monate später die positive Wirkung spürbar wird.
Das ist immer wieder auch das Thema in unseren Teamsitzungen, wo wir zwar hauptsächlich Fälle besprechen, wo der Beratungsverlauf schwierig ist. Aber wir tauschen uns auch immer mal wieder über Beratungen aus, die richtig gut gelaufen sind. Das ist wichtig, wenn man über schwierige Beratungen spricht, dass man einander sagt: Vergiss aber nicht die 90 Prozent der anderen Beratungsgespräche, die richtig gut gelaufen sind.
Hilft Ihnen das als Beraterinnen und Berater, nicht selbst in Hoffnungslosigkeit zu geraten, wenn Sie ständig mit großen Problemen konfrontiert werden?
Ja, auf jeden Fall. Wir dürfen selbst nicht die Hoffnung, nicht den Glauben verlieren. Wir helfen ja Klienten zur Selbsthilfe, motivieren sie, sich selber wieder auf den Weg zu machen, dass sie selber wieder ihre Potenziale erkennen, dass sie uns dann nicht mehr brauchen. Deshalb achten wir im Team sehr aufeinander und hören auch einander zu, wenn einer unbedingt erzählen muss, was er oder sie gerade erlebt hat.
Jeder hat zudem verschiedene Strategien, sich mental abzugrenzen. Manche Kollegen legen bewusst ihr Namensschild ab oder setzen sich eine mentale Grenze, an der sie die Arbeit hinter sich lassen. Bei mir ist es auf dem Nachhauseweg ein Tempo-70-Blitzer, wo ich bewusst und auch innerlich Tempo rausnehme und meine Arbeit hinter mir lasse.
Und wenn das nicht gelingt, werden Sie geblitzt?
(lacht) Ein- oder zweimal im Jahr passiert das.
Ein Teil Ihrer Arbeit ist das Asuka-Programm für Jugendliche in belastenden Lebenssituationen, die vielfach auf einen Therapieplatz warten oder schon in Behandlung waren.
Ja, wir haben viele Gruppenangebote bei uns in der Beratungsstelle - für verschiedenste Altersklassen und auch für verschiedenste Themen. "Asuka" ist eine wöchentliche Gruppe für psychisch belastete Jugendliche, die sich über ein Jahr trifft. Das Programm entstand während der Corona-Pandemie, um Jugendlichen wieder soziale Sicherheit und emotionale Stabilität zu geben, sie wieder fit zu machen für den Schulalltag, um mit Ängsten umzugehen, die in der Zeit der Isolation entstanden sind und zu viel Einsamkeit geführt haben. Viele Teilnehmende haben bereits Therapieerfahrung oder sind in psychiatrischer Behandlung.
Die Gruppe lebt stark von der Dynamik und dem gegenseitigen Support der Jugendlichen. Unsere Kolleginnen bieten zwar einen Rahmen, doch die Jugendlichen bringen oft ihre eigenen Themen ein. Die Erfahrung zeigt, dass sie sich gegenseitig helfen, indem sie Lösungsmöglichkeiten austauschen und sich auch außerhalb der Gruppe unterstützen und teilweise auch in Kontakt bleiben, wenn die Gruppe beendet ist.
Sehen Sie positive Entwicklungen durch Asuka?
Ja, auf jeden Fall, auch wenn nicht alle Probleme sofort gelöst werden können. Für viele Jugendliche ist die Gruppe ein wichtiger Anker, eine wöchentliche Konstante, die ihnen Halt gibt. Einige hangeln sich buchstäblich von Dienstag zu Dienstag. Unsere Kolleginnen erkennen oft, wann jemand stabil genug ist, um die Gruppe zu verlassen - wenn derjenige seinen Weg eigenständig weitergehen kann.
Was Ihre Beratungsarbeit insgesamt angeht: Gibt es eine besondere Erfolgsgeschichte, die Ihnen in Erinnerung geblieben ist?
Ja, eine Mutter, die wir lange begleitet haben. Sie ist uns noch sehr präsent, auch weil sie uns auch nach Jahren noch immer wieder schreibt. Sie hatte das Sorgerecht für ihren Sohn an den Vater abgegeben und bereute diese Entscheidung sehr. Der Junge lebte bei den Großeltern in Süddeutschland, während sie in Paderborn wohnte und kaum Möglichkeiten hatte, ihn zu sehen, obwohl der sehr nach ihr jammerte. Mit unserer Unterstützung - sowohl finanziell als auch juristisch - und mit Hilfe einer Caritas-Beratungsstelle in Süddeutschland, zu der wir Kontakt aufgenommen haben, konnte sie den Kampf um ihr Kind aufnehmen. Schließlich wurde ihr das Sorgerecht wieder zugesprochen, und der Junge lebt nun wieder bei ihr, wofür sie sehr dankbar ist. Sie schreibt uns noch regelmäßig und lässt uns teilhaben an den Fortschritten ihres Sohnes, der damals drei Jahre alt war.
Würden Sie sagen, dass Hoffnung ein wesentliches Beratungsziel ist?
Ja, Hoffnung und Zuversicht: Es wird sich schon fügen, auch wenn gerade alles nicht danach aussehen mag. Wir fragen auch: Was kann der Grund sein? Welche Aufgabe steckt vielleicht hinter dem Problem? Wenn man die verschiedenen Puzzleteile miteinander betrachtet hat, ergibt sich vielleicht ein Gesamtbild, das eine Lösung zulässt.
Für Sie als Beraterinnen und Berater ist das doch sicherlich auch ein Element der Sinnstiftung, anderen Hoffnung vermitteln zu können ...
Ja, das kann man sagen. Den Eltern, Kindern oder Jugendlichen vermitteln zu können, dass sie ihre Situation verändern können, das ist schon eine sehr große sinnstiftende Arbeit. Das merkt man meinen Kollegen und Kolleginnen auch an, dass sie wissen: Ich mache etwas Sinnvolles, Sinnerfülltes. Es macht einen Unterschied, ob eine Person Hilfe bekommt oder nicht. Das gibt einen enormen Energieschub. Meine Kollegen sind ja zum Teil auch schon sehr lange in der Beratung tätig. Vor zwei Jahren haben wir eine Kollegin verabschiedet, die 40 Jahre lang bei uns tätig war und sagte: Es ist keinen Tag langweilig geworden, weil man immer wieder neuen Bedarf nach Beratung und den Drang hat, helfen und unterstützen zu können.
Vielen Dank für das Gespräch!
Interview: Markus Jonas
Info
Die Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche des Caritasverbandes Paderborn verfügt über 16 Beraterinnen und Berater sowie vier Verwaltungskräfte, verteilt auf drei Standorte: Paderborn, Schloß Neuhaus und Büren. Das interdisziplinäre Team aus Psychologen und Sozialpädagogen mit zusätzlichen Qualifikationen, etwa in systemischer Beratung und Therapie, unterstützt Kinder, Jugendliche und Familien. Gesetzlich ist die Stelle für 0- bis 21-Jährige zuständig, wobei die häufigsten Anliegen Verhaltensauffälligkeiten, Schulprobleme und Identitätsfragen sind. Ziel ist es, das gesamte Familiensystem zu betrachten und durch gezielte Beratung das Gleichgewicht wiederherzustellen. Im Jahr werden rund 1400 Personen beraten. Finanziert wird die Beratungsstelle mit Mitteln der Jugendämter des Kreises und der Stadt Paderborn sowie des Landes NRW.